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senta bremstein keppelt wieder:

P wie prekär.

Ein Treffen unter Freundinnen.
Die eine hat nach dem BWL-Studium und langem Suchen endlich einen Job in der Privatwirtschaft bekommen. In den ersten Monaten haben sich alle in ihrem Bekanntenkreis überschlagen zu beteuern, wie wichtig es heutzutage sei, einen Job zu haben und zu behalten. Jetzt nach einem halben Jahr schaut sie schlecht aus. Ihr Big-Boss, wie sie ihn nennt, schreie gerne und ziele dabei noch lieber unter die Gürtellinie der MitarbeiterInnen. Unlängst hätte er eine Stunde auf sie eingebrüllt, was für eine Niete sie sei, obwohl sie immer die vollste Leistung gebracht hätte. Da hätte sich ganz stark konzentrieren müssen, um nicht zu weinen. Denn bei der kleinsten gezeigten Schwäche werde es noch schlimmer mit der Schreierei. Sie müsse das irgendwie packen, meint sie, schließlich könne sie es sich nicht leisten zu kündigen. Und wenn sie sich unter KollegInnen zumindest Trost holen wolle, höre sie nur: „Was willst du, schließlich geht es jedem hier gleich.“

Wiedersehen mit den Ex-KollegInnen.
Sie hat ihren Job verloren, weil sie die jüngste und flexibelste war. Herausgerissen aus dem freundschaftlichen Arbeitsumfeld hält sie sich jetzt mit befristeten Projektarbeiten grade so über Wasser. Die ehemaligen KollegInnen versuchen Verständnis zu zeigen, obwohl es für sie mit ihren unbefristeten ganztägigen Arbeitsverhältnissen nicht einfach ist. Sie berichtet, dass sie voller Energie drei Jobs gleichzeitig handle und immer ihr Bestes gäbe in der Hoffnung, es würde doch einmal für einen „richtigen“ und gut bezahlten Job und damit zum finanziellen Überleben reichen. „Jammern macht es auch nicht besser,“ sagen die KollegInnen, „es gibt Schlimmeres im Leben. Ganz viele Menschen haben noch viel mehr und viel größere Probleme. Sei doch froh, dass du in deiner Situation allein bist und keine Verantwortung für eine Familie hast.“

Ein Bewerbungsgespräch.
Die Bewerberin erzählt von ihren vielen befristeten Jobs, um einerseits ihren Lebenslauf zu erklären und andererseits hervorzustreichen, wie vielfältig einsetzbar und flexibel sie sei. Sie weist auf ihre Ausbildungen und Kompetenzen hin, die sie dabei erworben hat. Und freilich ja, sie wäre gerne irgendwo länger geblieben. Dabei fällt auch das P-Wort. Der eine Mann im dunklen Anzug sagt daraufhin zu dem anderen Mann im dunklen Anzug, so über den Kopf der Bewerberin hinweg: „Ich kann das P-Wort nicht mehr hören.“ Und zu ihr sagt er: „Sie haben ja fast überall mal reingeschnüffelt.“ Von diesem Moment an, geht sein Blick immer mehr an der Bewerberin vorbei und sein Höflichkeitslächeln ist verschwunden. Schließlich klappt er seine zur Dekoration auf dem Tisch positionierte Arbeitstasche zu und erhebt sich. Das Gespräch ist zu Ende. Die Chancen auf einen Job auch.

Nichts sagen. Nichts sehen. Nichts hören.

Grazer Innenstadt. Es ist heiss. Die Gruppe Interact führt Straßentheateraktionen zum Thema „Kein Kies zum Kurven Kratzen. Neuer Armut entgegenwirken“ auf. Dabei wird ein goldenes Pferd mit einem darauf sitzenden Manager durch die Straße gezogen. Er ruft Wirtschaftsparolen „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!“ Um ihn herum laufen seine Jünger, Arbeitsabhängige und solche, die versuchen, mitzuhalten. Sie beteuern, wie glücklich sie seien. Adapt or die. Nur die Fittesten kommen durch oder auch nicht. Alles ist gut, solange es einen nicht selber trifft.
Die PassantInnen reagieren großteils ablehnend und ignorant. Sie wollen sich auf ihrem Weg durch die Shoppingwelt nicht mit dem gesellschaftsrelevanten Themen auseinandersetzen, nicht zuhören, nicht zuschauen. „Oh je, Politik,“ rufen Kinder, „schnell weg.“

Die Straßentheateraktionen laufen den ganzen Mai über. Am 1. Juni hat das darauf aufbauende Forumtheater „Kein Kies zum Kurven Kratzen“ Premiere im Theater im Keller. Weitere Aufführungen in Graz und in steirischen Gemeinden folgen. (Termine unter: interact-online.org) Dabei geht es um die Fragen: Was erleben Menschen, die in finanzielle Notsituationen geraten? Welche Wege führen hinaus? Was muss sich ändern im System? Das Publikum kann sich aktiv am Geschehen beteiligen. Alle eingebrachten Ideen und Vorschläge werden dokumentiert und den politischen EntscheidungsträgerInnen übergeben.

Interact mischt sich ein, macht sichtbar, hörbar und erfahrbar. Tatsache ist, dass sich trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr und mehr vergrößert. Jede/r kann jederzeit aus dem System „Lohnarbeit“ fallen und/ oder in prekäre Arbeitsverhältnisse, die kaum die Mittel zum Überleben bieten, abgedrängt werden. Dies ist ein gesellschaftliches Problem, produziert von einer immer kälteren Kapitalismusgesellschaft, die Lügen wie „Wenn du dich nur genug anstrengst und Leistung bringst, wirst du es schaffen!“ in die Welt setzt, um die Verantwortung auf die Schultern der Einzelnen zu verteilen, anstatt sie selbst zu übernehmen.

Wie lange wollen wir noch Augen und Ohren verschließen und den Mund halten? Will sich das „Fußvolk“ weiter als solches behandeln lassen? Sollen wir warten, bis immer mehr Menschen zu Armuts-Betroffenen werden? Wollen wir so eine Gesellschaft, die fern jeder Solidarität dahinläuft, wirklich?

Jenen, die das P-Wort nicht mehr hören wollen, sagt Senta, die sich damals nach dem Bewerbungsgespräch grundlos schämte, hiermit: prekär, prekär, prekär, prekär, prekär, prekär, prekär, prekär, prekär, prekär, prekär, prekär, prekär....




[Kolumne/Senta Bremstein/11.05.2007]





    Kolumne/Senta Bremstein


    05.12.2007 senta bremstein keppelt schon wieder:

    11.05.2007 senta bremstein keppelt wieder:

    13.11.2006 senta bremstein keppelt:

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